SZENARIO: Beck und Meissen

Beck bewarb sich um die Leitung der Porzellanmanufaktur. Seine Aussage, er habe dieses Angebot erhalten, wurde von seinem erbitterten Gegner Riemerschmid bezweifelt und Beck mithilfe der Kgl. Bayerischen Ministerialbürokratie als unglaubwürdig hingestellt.

Ein Szenario ist hilfreich als Methode des Nachdenkens, Nachspielens bei unsicherer Datenlage: es wird abgewogen, wie wahrscheinlich die Plausibilität einer Schlussfolgerung sein könnte, wo Daten fehlen oder die Mutmaßung grober Verfälschung besteht. Und: ein Szenario macht den Grad der Unsicherheit der vorhandenen Fakten erkennbar - oder bestenfalls: hebt sie auf. Das gäbe dann eine neue Sicherheit.

Bei Beck fehlen häufig die Daten, das fordert Szenarien geradezu heraus. Auch ein Archiv darf, wenn nur die Plausibilität stimmt und die Ausgangslage klar benannt wird, spekulieren. Vorschläge für Korrekturen sind dann höchst hilfreich und werden dankbar überprüft.

Also: Szenario 1

Ein Mann sitzt im D-Zug nach Dresden. Die Stadt kennt er schon, vor Jahren hatte er bei Professor Rabe studiert und war "nebenher Volontär bei der Steingutfabrik Villeroy & Boch, um das Geschäft, die Fabrikation dieses großen Werkes kennenzulernen".
Es ist das Jahr 1897, vielleicht auch schon 1898 (ganz genau ist das Erinnern nicht, das Horten von Unterlagen ist nicht seine Sache), Beck, um ihn handelt es sich, ist 35/36 Jahre alt, er hat es durch Fleiß und Ehrgeiz und viele Studien an unterschiedlichen Orten und Institutionen zu etwas gebracht. Das ist schon ein unerhörter Aufstieg für diesen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen: seit 1884 ist er "in leitender Stellung als Dekorations- Chef, Mal- und Zeichenlehrer bei der Firma Villeroy & Boch in Mettlach", bald darauf ist er Künstlerischer Leiter in Wächtersbach. Er hat die Kunstgewerbeschule in München besucht und an der TH München Chemie und Technologie studiert - man muss sich das wohl so vorstellen, daß er erfahren wollte, wie sich die Materialien Tonerde und Glas unter verschiedenen Voraussetzungen verändern, verschönern lassen, wie ein Glas seinen Lüster erhält. Die Grundkenntnisse aus der Mettlacher Ausbildung reichten ihm schon lange nicht mehr. Und es darf angenommen werden, daß die Kosten der Münchner Studien seine saarländische Firma trug, wie es damals üblich war, um gute Leute weiterzuqualifizieren. Es ist auch belegt, dass Beck Dekorationsentwürfe für Wächtersbach lieferte : eine enge Verflechtung zwischen Studium in München und keramischer Produktion. Später folgte noch die Akademie Julien in Paris.

Beck ist ein unruhiger Mann; so ist es verständlich, daß er sich mit 33 Jahren auf eigene Füße stellte: er hatte viel gelernt und konnte trotz seiner Selbstständigkeit seine Funktion in Mettlach beibehalten: das brachte wirtschaftliche Sicherheit. So schuf er Arbeiten als eigenständiger keramischer Künstler "nach meinen Entwürfen und Modellen für mich zum Alleinverkauf". Das war vor zwei, drei Jahren. Diese Situation ist typisch für die neue industrielle Lage um die Jahrhundertwende: der Konzern Villeroy & Boch "zieht" sich seine Entwerfer, Beck kennt seine Qualität und setzt mehr und mehr auf Eigenständigkeit als Designer.


Signaturstempel mit Malerschilden unter einer kugeligen Vase auf schwarzen Kugelfüssen

Zwei Dinge dürfen also nicht übersehen werden. Der "Alleinverkauf" wurde existenzielle Grundlage und damit prägend für alle weiteren Entscheidungen - es ging ums Überleben. Das zweite: Beck war sich seines Könnens, seiner Entwürfe und Modelle, sicher.

Zurück zum Zug. Dresden ist nicht der Endpunkt der Reise, das Ziel heißt Meissen.

Während der Fahrt geht Beck noch einmal in Gedanken sein Konzept durch. Er will mehr sein als der verantwortliche Leiter von Fabrikationen in Keramik, er strebt nach der Königin der Erden, dem Porzellan. Er hat alles vorbereitet, Unterlagen und Urkunden beisammen - morgen schon will er das große Vorstellungsgespräch führen, das ihm die Künstlerische Leitung der Königlichen Porzellanmanufaktur bringen soll. Dafür will er sogar seine Selbstständigkeit aufgeben, vielleicht auch nur für einige Jahre. Und ganz im Geheimen denkt er immer wieder daran, daß mit der Leitung dieser Manufaktur der Titel eines Professors verbunden ist - lebenslange Auszeichnung, die er schon noch einzusetzen wissen wird in einem Umfeld, das nicht nur nach der Qualität der Produkte urteilt. Wie das in Wien läuft, hat er gehört. Die dortigen Entwerfer tragen durchaus stolz ihre Titel und werden entsprechend anerkannt und hofiert.


Vasen mit hochgezogener Schulter, z.T. mit aufgemalten goldenen Blättern

Dann das Gespräch. Wir wissen nicht, wie es verlaufen ist, nur das Ergebnis ist bekannt: Beck berichtet, daß ihm die Professur angeboten wurde, er es aber vorzog, in München zu bleiben. In einem Szenario darf spekuliert werden: entweder Beck konnte nicht überzeugen, was bei seiner Qualifikation eher unwahrscheinlich ist oder die Gesamtsituation behagte ihm nicht und er wurde ruppig, was man ihm immer wieder nachsagte, oder die erwünschte Stelle war noch nicht frei und die Wartezeit auf der Karriereleiter hat ihm zu lange gedauert. Also: keine künstlerische Leitung, kein Professortitel.

Beck kehrt also zurück und macht sich 1898 mit eigenem Atelier in der Münchner Schwindstraße ganz unabhängig. Der Mißerfolg in Dresden muß mächtig in ihm gebohrt haben, er schielt auf die höchst anerkannten Kollegen in Wien, und er unternimmt große Anstrengungen, mit seinen Produkten Fuß zu fassen. Er braucht Geld: aus seinem Privatbesitz bietet er dem Staat einen Spitzweg an. Man braucht das Bild nicht, zu viele davon hängen herum. Beck weiß, er ist gut, er stellt viel aus, hat bedeutende Partner in der Industrie, steigt in die Produktion ein, aber es muss auch finanziell besser laufen: der Titel muß her.

Und er hat einen Intimfeind gefunden, den "Professor" Riemerschmid, richtiger wohl andersherum: Riemerschmid machte Beck zu seinem Gegner.

Das ist eine eigene Geschichte, und es geht um Grundsätzliches: den Unterschied zwischen reiner Kunst und Kunstgewerbe. Und die Voraussetzungen, wie Kunst entsteht und wer sie definiert und: um die neue Rolle von Kunst und Kunstgewerbe als modernes Design. Ein Thema, das sich in Wien auch stellt und friedlich gelöst werden soll: alle bedeutenden Entwerfer der Moderne bezeichnen sich bald als Künstler und Kunstgewerbler. Riemerschmid rümpft die Nase.

Beck stellt 1912 den Antrag, der Königlich bayerische Staat möge auch ihm den Titel als Professor verleihen: fünfzehn Jahre nach seinem Dresdner Versuch will er es wissen. Und es wird Ärger bringen.

Szenario 2

Der Sachbearbeiter des Antrags, ein Ministerialer namens Meindl aus dem Königl. Staatsmin.d. Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten (in Bayern verwechselt man traditionell Kultus und Kultur), sitzt fluchend über dem Text von Becks Begründung."...weil bei feineren, künstlerischen Erzeugnissen, welche nur als sogenannte Marken gekauft werden, der Titel des Urhebers nun einmal von großer Bedeutung für das feine, sachverständige und kunstliebende Publikum sei." Und dann noch: "Auch erhielt ich im Jahr 1898 den Ruf als artistischer Leiter an die Königliche Porzellanmanufaktur in Meissen, verbunden mit der Professur, nahm aber diese Stelle nicht an, sondern zog es vor, in München zu bleiben."

Da ist also wieder so ein Hereingeschmeckter, ein saarländischer Franzos, der etwas will, was Arbeit macht (viel später wird eine Antiquitätenhändlerin auf dem Brüsseler "Zavel" eine Schale Becks so kommentieren: "Le grande artiste francais Jean Beck", aber davon ahnt noch keiner etwas). Und vielleicht ist er ein Sozi, weil sich einige rote Abgeordnete für den stark zu machen scheinen.

Meindl kam eine Idee. Da gibt es doch einen, der ein heftiger Gegner des Antragstellers ist und der was von der Kunst versteht als neuer Vorsitzender des Kunstgewerbevereins. Der soll mir die Sache vom Hals schaffen. Und der tut das gern - a g´mahts Wiesl (eine gemähte Wiese).

Und schon eineinhalb Jahre später schaltet sich Riemerschmid ein: "Es würde sich vielleicht empfehlen, die Richtigkeit der Angabe nachzuprüfen ob Herr Jean Beck im Jahre 1898 den `Ruf als artistischer Leiter an die K. Porzellanmanufaktur Meissen, verbunden mit der Professur` ausgeschlagen hat. Es scheint mir dies unwahrscheinlich. Die Porzellanmanufaktur Meissen könnte darüber sicher leicht Auskunft geben."



Es wird gefiltert und elegant manipuliert und Meindl schreibt dem Kgl. B. Staatsminist. Des Königl. Hauses u. d. Äußern, "daß...einiger Anlaß besteht, in die Richtigkeit der obigen, an sich schon etwas unwahrscheinlichen Angabe (Becks Bewerbungsbrief, d. Verf.) Zweifel zu setzen."

Eine bauernschlaue Wendung einer Beamtenseele und Steilvorlage für die Antwort, die man von der Bay. Gesandtschaft aus Sachsen hören möchte.

Die kommt am 2. März 1914. Dem Königl. Gesandten Graf Montgelas war auch noch etwas eingefallen. Er schlägt noch eine Volte übers sächsische Finanzministerium und berichtet, daß "die Administration der Königlichen Porzellanmanufaktur Meißen im Jahre 1897 mit einem früheren Maler der Firma Villeroy & Boch in Mettlach, namens Jean B e c k in München, wegen des Eintritts in ihre Dienste vergeblich verhandelt hat.
Es war geplant, ihn zunächst als Maler zu beschäftigen und, wenn er sich als geeignet erweisen würde, ihn nach kurzer Zeit als Malerassistent anzustellen.
In dieser Stellung wäre ihm die Möglichkeit geboten gewesen, sich zum artistischen Leiter der Malerei empor zu arbeiten und als solcher den Titel eines Professors zu erringen. Von dieser Möglichkeit ist B e c k bei den Verhandlungen jedoch nichts gesagt worden."

Wie? Was? Sollte Beck so bescheuert gewesen sein, sich als Maler zu bewerben und nicht als Leiter der Manufaktur? Er, der einer der führenden Betriebsleiter bedeutender Unternehmen ist und extra nach Meissen fährt, um dort die Leitung übertragen zu bekommen. Und: was soll der Unsinn, daß von dieser Möglichkeit im Bewerbungsgespräch nichts gesagt worden sein soll? Und: an all das, dass sich ein Maler beworben hat und was ihm (nicht) gesagt worden sein soll, erinnert sich die Administration nach siebzehn Jahren?

Eine klassische bayerische Komödie, die da aufgeführt wurde, und die natürlich einen braucht, über den man zuletzt lachen darf: in den Korridoren des Ministeriums wird man sich auf die Schenkel geklopft haben. Komödienstadel wird das später heißen.

Dem Herrn Meindl war´s recht. Später wurde er befördert.

Und Stoff fiel an für all die Abschreiber unter Autoren, die, statt ihr Hirn zu benutzen, immer noch hereinfallen und Beck zum Lügner wegen seiner Aussage zu Meissen machen.

Seither gilt Beck als kainsbemalt.

Bei einigen Schreibern wurde es Mode, Beck und seine Arbeit in Frage zu stellen: ihm ist nicht zu trauen. Sehr bequem, dieses Abschreiben.

Den Titel gab´s später. In der Republik.


Die zitierten Aussagen liegen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv.